Schlagwortarchiv für: Review

Amon Tobin spielte in Luxembourg auf und diesen Hochkaräter konnte man sogar umsonst bestaunen, man musste sich lediglich vorher Karten besorgen. Danke sehr! Die Veranstaltungen war eine von vielen zum Abschluss des Jahres der Europäischen Kulturhauptstadt 2007. Hier muss man nochmal ausdrücklich die Vielseitigkeit lobpreisen. Neben dem von mir besuchten eher experimentellen Elektronik-Veranstaltung wurde z.B. auch die Tanzflurfraktion in der Rockhal mit DJ Hell, Mousse T & Etienne der Crecy bedient. Bereits im laufenden Jahr hatte man bewiesen, dass man einen zeitgemäßen Kulturbegriff pflegt – in Trier würde der hiesige Kulturreferent zu solcher Gelegenheit wohl Leiendecker Bloas und André Rieu gastspielen lassen und vollmundig bekunden, man habe ja sowohl E-Musik als auch U-Musik bedient.

Neben Headliner Tobin traten je ein Act aus den Partnerstädten auf. Den Auftakt machte Trierer Massju, der einigen durch sein Netzlabel Weird & Wired und seine IRoMi-Parties bekannt sein dürfte. Danach lieferten die HipHop-lastigen Cupp Cave aus Belgien, denen man einen MC an die Seite gewünscht hätte und Giant Metal aus Metz solide, aber optimierbare Darbietungen ab.

Ich bezweifle, dass hier jemand liest, der Tobin nicht kennt, deshalb spare ich mir viele Worte, sondern spreche nur eine uneingeschränkte Kaufemfpehlung für sein letztes Album Foley Room aus, in dem er zum ersten Mal hauptsächlich mit Feldaufnahmen gearbeitet hat, anstatt wie zuvor seine Samples aus musikalischen Werken zu beziehen. Hier gibt´s zudem noch einen aktuellen Mix vom BBC.

Gegen 23.00h trat der Ãœber-Ninja an seine drei Numark CDX und legte eine Mischung aus DJ-Set und Live-Performance hin, die erwartungskonform ohrenbetäubend großartig war. Wer sein Schaffen eingehender verfolgt, dem blieben große Ãœberraschungen erspart. Das „7.1.-Surround Sound Set“ erwies sich – wie schon anderorts zu lesen war – als ziemliche PR-Ente, da außer dem Intro nichts entsprechend abgemischt war. Neben neueren Versatzstücken seines eigenen Oeuvres bewegte sich sein Set zwischen Drum&Bass mit bspw. Tracks von Noisia oder irgendeinem Messiah-Remix, sowie aktuellem Dubstep – was die uneingeschränkte Tanzbarkeit des letzteren bewies, wenn der Bass denn genug drückt. Einige der dargebotenen Diskontinuitäten und Brüche darf sich lediglich im „Konzert“-Format erlauben und würden im Clubkontext wohl gnadenlos abgestraft. Nach exakt 75 Minuten war dann leider schon Schluß.

Eine vortreffliche Wahl hatte man für die Position des Rausschmeisser-Acts getroffen. Wir mutmaßten nach wenigen Minuten, der Sohn des Bürgermeisters hätte sich einen Platz im Line-Up herbeikorrumpiert. Weit gefehlt. Wie die Recherche im Nachhinein offenbart handelte es sich um eine „exclusive collaboration“ von Francesco Tristano und Justin Messina, ihres Zeichens international erfolgreiche, klassisch ausgebildete Hanswürste. Sie hatten vorgestern vom Nikolaus irgendeine Sequencer-Software geschenkt bekommen und probierten sie nun zum ersten Mal aus. Herr Tristano stellte sein Notebook auf den scheinbar eigens dafür aufgestellten Flügel und las vor sich hin wippend E-Mails. Der andere Großmeister vollführte – ebenfalls wippend – alle 5 Minuten einen waghalsigen Klick auf seinem Macbook. Zu hören gab´s minutenlang nur eine 4/4 Kickdrum und zwei Hi-Hats. Eine Hat gefiel den beiden offenbar so gut, dass sie 15 Minuten durchlaufen durfte, ohne durch irgendwelche Modifikationen oder gar Effekte & Filter gestört zu werden. Als sich nach einer gefühlten Ewigkeit weitere Sounds dazu gesellten, offenbarte sich engültig, dass das Taktgefühl der beiden wohl am Flughafen verloren gegangen sein musste. Schuster, bleib bei deinen Leisten – das kann heute wirklich jeder 14jährige ohne jegliche Vorkenntnisse besser. So einen unwürdigen Abschluss hatte der Abend nicht verdient.

Wieder mal eine kleine Konzert-Rezension aus Luxembourg. Ein nicht zu unterschätzendes Plus Trier´s ist ja die Nähe zu Benelux & Frankreich. Da kann man so einige musikalische Schmankerl zu Gesicht bekommen, die in good old germoney nicht in ausreichendem Maße geschätzt werden. Hier würde man sich mit solchen Angeboten ruinieren, aber gar nicht so weit weg geht das. An einem stinknormalen Dienstag den 2. Oktober (den Tag der deutschen Einheit feiert man in Luxembourg ja kurioserweise nicht) die Kulturfabrik zu füllen, beweist einen gewissen Beliebtheitsgrad des Acts.

Die hierzulande als Geheimtipp gehandelten Le Peuple de l´Herbe haben sich ihren Status durch intensives Touring (400 Konzerte in 6 Jahren) als auch durch einige exzellente Studioalben verdient. Die ersten beiden Triplezéro und P.H. Test Two rotieren hier immer mal wieder, das folgende Cube enttäuschte dagegen schon etwas und das neue Radio Blood Money. konnte beim Preview-Hören noch nicht richtig überzeugen. Deshalb hatte (nicht nur) ich auch auf eine Songauswahl gehofft, die älteres Material bedient, was dann glücklicherweise auch eingelöst wurde.

Was P.H. so dass sie gekonnt ein breites musikalisches Spektrum bedienen. Mit den britischen Herbaliser (Ninja Tune) teilt man nicht nur Gemeinsamkeiten im Namen: Auch P.H. bauen ihren Sound auf DJing und Sampling auf, sind stilistisch dem HipHop verhaftet und scheuen sich nicht, ihre Alben größtenteils mit Instrumentals zu füllen.

P.H. Theme (2001)

[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=vfH6lcL7o6Y[/youtube]

Früher durfte man solche Musik TripHop nennen, ein Genre, zu dem insbesondere P.H.´s Trompeter eine Affinität nicht leugnen kann, der sich seinen Ascenseur pour l´échaffaud-Soundtrack sicher in vierstelliger Haufigkeit zu Gemüte geführt hat.

Kin Sapalot (live – 2005)

[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=WloibgoPFp8& [/youtube]

[Kleine Anmerkung: Im Clip sieht man einen Ecler HAK320-Mixer im Einsatz. Freut einen immer wieder, wenn Pros das gleiche Equipment benutzen, wie man selbst. Stärkt die Ãœberzeugung für etwaige Streitigkeiten in Clubs, die einem immer diese Pioneer-Drecksdinger hinstellen, „weil´s Standard is.“]

Doch damit der Einflüsse nicht genug: „Der Franzose an sich“ hat dem gemeinen Deutschen ja eine Affinität zu Dub, Reggae und in Konsequenz auch Jungle voraus, die auch im Sound von P.H. ihren Platz eingeräumt bekommt. Deshalb gesellen sich auch so einige breakbeatlastige Uptempo-Tracks ins Repertoire, wie die Single Ihres zweiten Albums mit britischer MC-Legende UK Apache (Original Nuttah).

No Escape feat. UK Apache (2002)[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=9HrOGNS_BGw[/youtube]

Wie bringt man so ein vielseitiges Programm live rüber? Die Besetzung rekrutiert sich aus 6 Herren: Turntables & Sampler, Trompete & wasweißich, Keyboards & Bass und zwei wohldosiert eingesetzten MCs plus einem Drummer.

Die Schwachstelle meines Konzerterlebnisses war dann letztgenannter. Was nützt eine Melange aus den genannten Genres, wenn die Beats sich anhören, wie von einer Drummaschine mit ausgefallener Swingschaltung? Vulgo: Alles wird schön gerade und verrockt gespielt. Kurzes googeln bringt dann auch an den Tag, dass der Mann erst nach dem zweiten Album zur Band stieß und seine Zeit primär in einer Rock-Band aus Lyon tot prügelt. Auf Live-Videos macht er einen besseren Eindruck, vielleicht hatte er nur einen schlechten Tag oder der Live Engineer hat ein zu hartes Noise Gate auf die Snare gelegt, das keine Ghost Notes mehr durchgelassen hat. Nachdem sich diese musikpolizeilichen Überlegungen erstmal in meinem Kopf breitgemacht hatten, sprang dann auch der Funke nicht mehr so richtig über. Selbst schuld, da eigentlich nicht wirklich dramatisch.

Insgesamt war´s deshalb auch ein schönes Konzert, das auch jedem Gefallen hat, mit dem ich gesprochen habe. Ähnliche Acts wünsche ich mir auch für Trier, aber da würd wohl kaum einer hingehen (16 euro?!?! Wer ist das? Was für Musik?). Nächster Tipp für Esch: Dub deluxe mit High Tone am 15.11.

Da dies einer der genialsten Abende in der Region war, muß ich einfach über ihn berichten, wenn auch nicht mir der Eloquenz der schreibenden Zunft, deren Vertreter, Herr H., mal wieder schneller war.

Coldcut sind die Gründer des Ninja Tune Labels, dass seit 1990 ein goldenes Händchen für wahrhaft außergewöhnliche Künstler hat, von denen Amon Tobin, Mr. Scruff, DJ Vadim, Cinematic Orchestra, Kid Koala und Herbaliser die bekannteren sind.

DJs und Musikliebhaber eines bestimmten Schlags führen Coldcuts „Journey by DJ“ von 1995 gerne als die beste Mix-CD aller Zeiten an, dies es übrigens auch wiederveröffentlicht auf CD gibt: „If you have any interest in music at all this is as essential as having ears.“ Diesen Ruf verdient sich der Mix primär damit, dass er wahrhaft ohne Brüche stilübergreifend („eklektisch“ war ja ein übernutztes Wort der Musikschreiberlinge der 90er) eine 70-minütige Reise (noch so eine Floskel)durch elektronische Musik bietet. Ich erinnere mich noch, bei einem meiner ersten öffentlichen Gehversuche als DJ (bei einer OpenHouse-Party, vermutlich 1998/99) von dieser CD einen Track mit darübergelegtem Spoken Word von Dead Kennedys-Sänger Jello Biafra gespielt und damit die Crowd durch die Decke geschossen zu haben. (those were the days … Stücke von Mix-Cds spielen wäre heute für mich undenkbar).
Was diese CD auch speziell macht: Sie wurde live auf 4 Turntables gemixt. Nicht nur bei offiziell auf CD veröffentlichten Studio-Mixes ist es heute üblich, dass es mehrere Takes gibt, aus denen dann einfach das beste zusammengeschnitten wird. Auch wenn Coldcut heute digitale Werkzeuge wie Ableton nutzen:

Sie beweisen in einer Zeit, in der jeder mit einem Computer einen „Mix“ zusammenklicken kann, dass es Talent, Musikwissen und technische Skills braucht, um wirklich etwas Schönes zu erschaffen. Das Angebot an DJ-Mixen, war wohl noch nie so groß, wie heute, aber um so rarer sind diejenigen, die auch nur ein Quentchen Kreativität enthalten. Um so trauriger, dass diese Genies an diesem Donnerstag nur gut 100 Leute in die Kulturfabrik ziehen. Es deprimiert mich zu sehen, dass es andernorts volle Säale gibt, wenn Wannabes ihre aus Soulseek geklauten MP3s uninspiriert und holpernd aneinanderkleben.
Auftritte von Coldcut sind ein ganz spezielles, audio-visuelles Erlebnis, denn wohl kaum irgendwo sonst gehen Musik und Video eine so enge Liaison miteinander ein. Es werden nicht nur irgendwelche stummen Clips zur Musik abgefeuert, sondern die Originalvideos mit Soundtrack oder Stimmensamples hörbar gemischt, gescratcht und getriggert.

Als Pioniere dieser Technik gilt das New Yorker Emergency Broadcast Network (Wikipedia), die später auch U2s Zoo-TV-Tour begleiteten (einige ältere Werke hier). Coldcut entwickeln seit Mitte der 90er die eigene Software VJamm, die den Kern ihrer Liveshow ausmacht. Hier ist ein Video in dem Matt Black die Technik des Coldcut-Setups vorstellt:

[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=II_2KKYlEMQ[/youtube]

Das Set beginnt mit dem immer wieder neu remixten More Beats & Pieces, das dem unkundigen Teil des Publikums das Prinzip der Show erklärt: Über HipHop-Beats und den FunkyDrummer teilen sich Jimi Hendrix und Angus Young (Bon Scott war der AC/DC-Sänger, Herr H.!) ein Gitarrenriff, und auch das Dschungelbuch und Peter & der Wolf schauen mal rein.

Ein besonderes Schmankerl des Abends ist der dritte Mann on stage: Der großartige Juice Aleem darf als MC in einigen wenigen Momenten aufblitzen, hält sich aber meist bedeckt und lässt der Musik ihren Raum.

Das Programm rekrutiert sich zu gleichen Teilen aus Tracks des letzten Albums, wie das um ein Bollywood-Sample kreisende Tru Skool mit Roots Manuva (Video) oder Everything is under Control, mit dem rappenden Literaturprofessor Mike Ladd (Video), verschiedenen Fremdkompositionen und Coldcut-Klassikern wie Timber, dessen wortlose Botschaft aktuell ist wie nie:

[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=nLu7p9bTJ84[/youtube]
Nach dem die erwartungsgemäß im Set untergebrachte, poppige Single des letzten Albums Walk a Mile in my Shoes (Video) Gelegenheit zum Bierholen bietet, fährt ZeroDB´s Bongos Bleeps and Basslines vom gleichnamigen Album gleich in die Beine. Darauf folgt dann mit Red Snapper´s – Hot Flush im Sabres of Paradise Remix eine echte Ãœberraschung. Diesen TripHop-Klassiker gab´s schon ganz lange nirgendwo mehr zu hören.

Pünktlich zum Abtritt von Tony Blair bekommt Coldcuts Re:volution einen aktualisierten Mix verpasst. Zur Wahl 2002 gründeten mit der Guilty Party eine eigene Partei, deren „Wahlspot“ auf einem Video-Sample Blairs aufbaut: „The lunatics have taken over the asylum„.

[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=S6KnJ0k_u7w[/youtube]
Up to date gebracht, kommt GWB Jr. auch in Re:volution zu Wort und zeigt im Breakdown dem Publikum, was er von ihm hält
[youtube]https://youtube.com/watch?v=YVynnbx1Xsc[/youtube]
Drum&Bass und Jungle bekommen ihre Viertelstunde, wilder Höhepunkt ist Coldcuts Atomic Moog im nagelneuen Qemists-Remix.

Im Zugabenblock gibt´s dann noch eine Kombination zweier Film- und Musikklassiker: Das auf einem Orgelriff aufbauende Organ Donor von DJ Shadow wird kombiniert mit der Lustorgel-Szene aus dem Kultklassiker Barbarella (1968) mit Jane Fonda. (übrigens am Di. 10.7. auf arte).
[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=wsAqSJ9xzFU[/youtube]
[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=ye5Jo1I4XXc[/youtube]
Wem ich jetzt Lust auf Coldcut gemacht habe, sei der zweistündige Essential Mix vom letzten Jahr ans Herz gelegt (Tracklist). Es gibt wohl noch einen Download. Unter den verschiedenen Podcasts aus dem Hause Ninja, gehört die Solid Steel-Show zu meinen Favoriten.