Afrokaribische Wurzeln von Clubmusik: „Black Sounds Matter“

Der “Second Summer of Love” 1988-89 startete die britische Ravekultur und legte die Grundlage für ein Massenphänomen, das die 1990er Jahre global prägte. Pirate Radio brachte die Underground-Musik aus dem Rave auf die Straße und in die
Adern des täglichen Lebens, „eine virtuelle Präsenz, ein latentes Potenzial, das den Glauben der Gemeinschaft an ihre eigene Existenz während der brachliegenden, toten Zeit vor und nach dem Rave untermauert“ (Simon Reynolds, Energy Flash, 1998). Der Sound etablierte sich rasend schnell und im halbjährlichen Takt entstanden neue Spielarten und abgrenzbare Musikgenres.

In Deutschland wird elektronische Tanzmusik eng mit House und Techno und ihrer durchgängigen 4/4 Bassdrum assoziiert. In UK spaltete sich hingegen bereits 1990 das sogenannte Breakbeat Hardcore Continuum ab: Beats werden erstellt ausgesampelten und nachbearbeiteten Funk-, Soul- und Jazzloops, die mit Versatzstücken anderer Genres kombiniert werden, woraus eine Reihe neuer Genresentstand: UK Garage, Jungle, Drum´n´Bass, Dubstep, Grime u. a., die von vielen ihrer prominenten Protagonisten als Black Music eingeordnet werden, da sie maßgeblichen von People of Color geprägt sind.

In England selbst lenkte jüngst ein Deportations-Skandal wieder Aufmerksamkeit auf die sogenannte “Windrush Generation” der karibischen Migrant*innen von 1948-1971. Sie selbst und ihre Nachkommen machten Reggae, Dub und Soundsystem-Kultur in England heimisch und hatten damit ab dem Ende der 1970er Jahre breiten Einfluss auf die Musikszenen des Vereinigten Königreichs, so z.B. auf Post-Punk (The Police, The Clash …) als auch Pop (10cc, UB40, Culture Club, Soul II Soul …) und später in großem Ausmaß auf HipHop. Es entwickelten sich zahlreiche Produktions- und Spielarten, ohne die die Musiklandschaft heute ganz anders aussähe. Aktuell häufe sich im UK Jazz die Dub-Einflüße (Sons of Kemet …).

Bedeutend erscheint auch die soziokulturelle Dimension: Besonders im Thatcherismus der 1980er hatte Musik generell eine wichtige Funktion als Zufluchtsort. Dies gilt verstärkt für die speziellen Events der kompetitiven Soundclashes mit ihren Masters of Ceremony (MCs) und DJs, die als Vorläufer der Rapper gelten und insbesondere in den Instrumentalpassagen der Dub-Musik die aktuellen sozialen Umstände reflektierten.

These cultures, like dub and dancehall, from so-called ghetto areas, proved to be very vibrant, very enduring, because they have to work hard to satisfy people in oppressed conditions. (…) They have to lift people out of their surroundings and
make them forget. Like Bob Marley said: When the music hits, you feel no pain. (Steve Barrow, in : Dub Echoes, Dokumentarfilm, 2008)

Sehr leicht lässt sich der musikalische Einfluss von Dub und seiner puristischen und minimalistischen Ästhetik auf die elektronische Musik erkennen: In den vorwiegend instrumental gehaltenen Stücken, werden Bass und Schlagzeug als primäre Elemente behandelt, während andere Instrumente in den Hintergrund treten. Basslines werden songtragendes Element und Melodieträger.

Dub-Musik entstand ursprünglich als alternative Versionen regulärer Reggae-Songs, die anhand der Originalaufnahmen mithilfe eines Studiomischpultes und zahlreicher Effekte, wie Hall, Echo und Filter erstellt wurden. Neue Musikstücke entstanden also auf Basis bereits eingespielter Performances – ein absolutes Novum. Das Studio wurde zum kreativen Instrument und Ausdrucksmöglichkeit für die Produzenten, die sich von bloßen Dienstleistern zu eigenständigen Künstlern wandelten.

Die Grundidee der heute allgegenwärtigen Remixkultur – der Kreation des Neuen aus vorhandener Produktion – lässt sich also bis in die frühen Dub-Studios zurückverfolgen, die mit ihrer Produktionsweise anknüpften an das akusmatische Prinzip der Musique Concrète (nach Pierre Schäfer), der Loslösung des aufgeführten Klangs von seinem Ursprung, um zur reinen Studiokreation zu werden, die ihre Herkunft verschleiert.

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