Binary Patina

Fassadengroßprojektionen

als audiovisuelle Live-Events

2013-2018

Ein transmediales Projekt

‚Binary Patina‘ war eine Serie von vier audiovisuellen Live-Performances, die von 2013 bis 2018 als Fassadengroßprojektionen an vier öffentlichen Gebäuden in der Stadt Trier von über 800 Quadratmetern Größe inszeniert wurden.

Der Titel verdeutlicht das Gesamtkonzept: Zeitgenössische, digitale Bildästhetiken kleiden die Fassaden in eine dynamische Pixel-Schicht. Die in Echtzeit generierten Visuals sind audioreaktiv und interagieren mit elektronischer Live-Musik.

Die vier Versionen von ‚Binary Patina‘ griffen jeweils den räumlichen Gesamtzusammenhang als auch ihre Einbettung in übergreifende Veranstaltungskonzepte auf.

In erster Version wurde ‚Binary Patina‘ am 25.10.2013 im Rahmen der Veranstaltung ‚Ewige Unruhe‘ an der Fassade des Fachbereichs Gestaltung der Hochschule Trier am Paulusplatz 4 gezeigt.

Im Oktober 2015 wurde “Binary Patina II“ im Rahmen der ‚Design- und Kulturtage Trier‘, einer Kooperation des Fachbereichs Gestaltung und der Stadt Trier, dreimal aufgeführt.

Im September 2017 wurde ‚Binary Patina III‘ im Rahmen der ‚Illuminale Trier‘ mit stärkerem Fokus auf die Live-Musik inszeniert.

Das Kurfürstliche Palais im Trierer Palastgarten war im September 2018 die Leinwand für ‚Binary Patina IV‘- diesmal eine partizipative Installation für Besucher*innen der ‚Illuminale Trier‘.

Das Erlebnis von ‚Binary Patina‘ resultierte aus einer kollektiven Anstrengung über verschiedene Disziplinen und Mediengrenzen hinweg.

Primär war Binary Patina ein Projekt von JeongHo Park und Marcus Haberkorn. Die weitere Besetzung änderte sich über die Jahre. Beteilligt waren zudem:

Michael Kreft: BP 1, 2 + 3

Teimur Henrich: BP 2 + 3

Julia Jäger: BP 2 + 3

Chris Gwiozda: BP 1

Binary Patina (2013)

Die Musiker*innen schrieben Musik, die sie live mit einer Reihe von Controllern – von typischen Drumpads über Midi-Keyboards bis hin zu Kontaktmikrofonen – spielten, arrangierten und modifizierten. Die von ihnen erzeugten Klang- und Controllerdaten wurden von einer Software analysiert, die JeongHo Park eigens für das Projekt geschrieben hat. Das Programm, das auf Open Frameworks basiert, generierte dann in Echtzeit bewegte Bilder auf Basis der vielfätigen Sound- und Midi-Controller-Daten. Zusätzlicher Live-Input von einer Webcam, einer Kinect und einem LeapMotion-Controller manipulierten die riesige Projektion zusätzlich. Als Unterstützer der Open-Source-Bewegung stellen wir den Code von ‚Binary Patina‘ über Github für jeden frei zur Verfügung.

100 Jahre Gestaltung am Paulusplatz zu feiern. Ein visuell und musikalisch assoziative Reise von der Vergangenheit in die Gegenwart, so war das Eröffnungsstück an synästhetische Pionierarbeiten angelehnt.

Binary Patina 2 (2015)

Für die zweite Version von ‚Binary Patina‘ wurde die zu diesem Zeitpunkt ungenutzte ehemalige Staatsanwaltschaft Triers als Leinwand für eine dynamische Bildebene genutzt, die die Bedrohung durch globale Überwachung im digitalen Zeitalter thematisierte.

Wie digitale Datenströme die analoge Welt beeinflussen und zu ihrer Kontrolle und Beherrschung eingesetzt werden, war zu dieser Zeit stärker in der öffentlichen Wahrnehmung präsent, da die Enthüllungen von Edward Snowdens noch nicht lange zurücklagen. Zu einer Zeit, in der deutsche Behörden ermittelten, wie der US-Geheimdienst NSA die Bundeskanzlerin u.v.a. abgehört hatte, nutzte ‚Binary Patina 2‘ großflächig die spezifische Fläche der ehemaligen Staatsanwaltschaft, um im öffentlichen Raum für diese problematischen Zusammenhänge zu sensibilisieren.

Mit der Musik und den in Echtzeit generierten Visuals synthetisiert wurden u.a. audiovisuelle Samples des zeitgenössischen Diskurses, Auszüge aus den Edward Snowden-Leaks, historische Datensammlungen zu US-Drohnenangriffen aus der Dronestream-API (von Apple verboten), Karten und 3D-Renderings des Dagger Complex der NSA bei Frankfurt und des GCHQ-Hauptquartiers in Großbritannien oder auch Interviews mit Geheimdienstmitarbeiter*innen: Über Kontaktmikrofone wurde das Gebäude der Staatsanwaltschaft selbst klanglich mit in die Performance einbezogen.

Binary Patina 3 (2017)

Die dritte Versionfand im Rahmen der Illuminale Trier statt. Hierbei wurde die Fassadenprojektion auf die Apotheke in der Fahrstraße mit einer Rückprojektion kombiniert, die die Bühne mit den Künstler*innen abschirmte.

Diese Inszenierung stellte den Live-Musik-Charakter in den Vordergrund.

Binary Patina 4 (2018)

Die letzte Version von Binary Patina brach 2018 konzeptionell mit den vorangegangen und nahm die Form einer interaktiven und partizipativen Installation ein. Diese nutzte an zwei Abenden das Kurfürstliche Palais Trier und den angrenzenden Palastgarten im Rahmen der Illuminale und wurde bei kaltem Herbstwetter von 20.000 Menschen besucht.

Im Zentrum des Plateaus vor dem Kurfüstlichen Palais stand ein zwar auf dessen Rokkoko-Fassade angepasster, aber dennoch befremdlich wirkender Apparat. Über einem Display dominierte ihn eine barock anmutende Grammofon-Trompete, deren Funktion invertiert wurde: Sie diente als Mikrofon. Auf dem Touch-Display waren jeweils wenige Verse eines barocken Gedichts zu sehen, die über Wischgesten oder Klicks durchgeschaltet werden konnten. Sie wechselten sich ab mit thematischen Entsprechungen aus Liedtexten aus den Untiefen der aktuellen, deutschsprachigen Popmusik von Schlager bis HipHop.

Die Darstellung animierte explizit dazu, die Verse ins Mikrofon zu sprechen. Der Klang modifizierte dann Parameter der Fassadenprojektion, so dass sprechen subtile visuelle Effekte erzeugte. Zusätzlich analysierte ein neuronales Netz / eine künstliche Intelligenz das Gesprochene in Echtzeit auf Kernbegriffe der Verse, die auch visuell hervorgehoben waren. Wurden diese erkannt, änderten sich die Animationen in der Großprojektion sehr umfassend, mitunter in ganzen Szenenwechseln.

In Anspielung auf das Zitat von Arthur C. Clarke, „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden“, entfesselten die Teilnehmenden Zauberkraft durch das Aussprechen magischer Worte.

Das Gesprochene wurde zudem mit Effekten verfremdet und mit leichter Verzögerung in den Soundtrack eingespeist. Dessen Ausgangspunkt waren Kompositionen von Bach, Pachelbel und Reznor. Die Kompositionen wurden mit synthetischen Instrumenten produziert. Das Sounddesign kennzeichnete sich durch die sehr starke Verlangsamung auf 1/8 des eigentlichen Tempos über langsamers Einspielen als auch Dehnung des Audiomaterials (Timestretching). Im Resultat entstand ein Ambientsoundtrack mit dem, der Palastgarten eingehüllt wurde. Aufgrund der Weitläufigkeit des Geländes bei eher geringer Lautstärke musste auf eine monokompatble Mischung gesetzt werden, was der raumklanglichen Inszenierung enge Grenzen steckte.

Das Album (2017)

Das Musikalbum „Binary Patina“ wurde Anfang 2017 auf Acid Elephant Recordings veröffentlicht und dokumentiert die musikalische Seite des Projekts. Wenn man sich nur die Trackliste des Albums ansieht, die die Hälfte der Tracks einzelnen Künstlern zuschreibt, kann man die kollaborative Anstrengung übersehen, die in die Entwicklung der Live-Performances und die Verfeinerung der Musik für das Album floss.