Myom – State of Play | D&B-Mix 11/10


Mein 25. Mjusic-Podcast: Warme Bässe für den kalten Winter, Minimal-Dubstep-Electronica-Drum&Bass auf 170 bpm, mit Beatnology-Diplom gemixt und wie immer strictly vinyl. Mit dem Mix halte ich den State of Play / Stand der Dinge fest: Was mich an Drum&Bass heute besonders interessiert und wie ich mit ihm arbeite.

Lasst euch von diesen atmosphärischen 90 Minuten gut über den Winter bringen, der Podcast pausiert nun voraussichtlich für ein paar Monate. Zum Mix gibt es noch mehr zu sagen als diese Stichworte und ich habe deshalb einige längere Anmerkungen zu Form und Inhalt geschrieben. Wer sich damit nicht aufhalten mag, stürzt sich am besten gleich auf den Download

Es ist die alte Geschichte vom geschichtenerzählenden DJ, der nicht nur einfach die neuesten Tracks der letzten Wochen aneinanderreihen oder dies gar semiautomatisch seiner Software überlassen will. In meiner zurückliegenden Produzententätigkeit habe ich einzelne Stücken als Experimente in „auditiver Narration“ verstanden, inzwischen gehe ich auch manche meiner DJ-Sets aus dieser Perspektive an.

Auch wenn der Mix sich mit dem narrativen Spielfilm wenig mehr teilt als seine 90 Minuten Länge, nutze ich ihn als Kontrastfolie: Im Film stehen die Protagonisten im Fokus der Aufmerksamkeit, sind jedoch lediglich Träger von Handlungen, an deren Stelle in der Musik Form- und Gestaltungselemente treten, die ebenfalls einem dramaturgischen Aufbau folgend sich entwickeln, Konflikte austragen o.ä.

Um Zusammenhänge in atmosphärischer Dichte herzustellen, müssen fliessende Übergänge statt harter Schnitte die Regel darstellen, sind aber schwierig herzustellen: Der DJ ist auf Collagetechniken zurückgeworfen, arbeitet nahe an found footage-Techniken und muss neben dem in der Regel durch das Genre definierten Tempo gleichsam Rhythmus, Tonart und bei mitunter minutenlangen Überlagerungen die Arrangements der kombinierten Stücke abstimmen.

In „State of Play“ fällt der geneigte Hörer nach 1,5-Minuten Drum&Bass-typischem Intro erstmal in ein deepes Loch. Der Breakdown dient in D&B-Stücken typischerweise dazu, über 10 Sekunden bis zu 1 Minute Spannung zu reduzieren oder sie bis zum nächsten Drop aufzubauen. Hier wird die gespannte Erwartung über 6 Minuten strapaziert, um Aufmerksamkeit zu binden und auf die Soundästhetik einzustimmen. Ãœber dem rhythmischen Grundgerüst wird mit verhallten Vocalsamples und spärlich eingesetzten Synthesizern Raum eröffnet.

In der weiteren Exposition werden die Elemente des Folgenden vorgestellt, wie die Dub-Wurzeln der Tracks von Digital & S.T.Files oder die 90er Darkstep-Referenzen in den Tracks von Data. Eine erste Wendung erfolgt nach ca. 30 Minuten mit Dan Habarnams auf wenig mehr als Bass reduziertem „One“. Aus diesem Tal der Schwere führen 2-3 positiv-melancholische Tracks heraus, bis mit Rockwells „Tribes“ und Breakages „Lightweight“ Jungleelemente eingeführt und zu einer Drum&Bass entfaltet werden, die ab Minute 65 den Klimax ansteuert. Die Katharsis wird mit Boymerangs „Urban Space“ (1996) eingeleitet.

Die Verarbeitung diese Klassikers ist auch ein Beispiel dafür, wie man einen Track mit Vorgänger und Nachfolger so mischen kann, dass dieser eine Track in drei Varianten zu hören ist. Um „neue“ Tracks zu bauen, indem man Basslines austauscht ist der getreue HAK 320 nach wie vor das beste Instrument.

Aber genug zur Form. Wieso „State of Play“? Mein Anschluss an die „Szene“ ist in den letzten Jahren loser geworden. Aus schlichter Zeitökonomie kann ich die Entwicklung von Drum&Bass nur noch mit größerer Distanz verfolgen. Der Stand der Dinge halte ich daher auch nicht mit den allerneuesten Scheiben fest, sondern mit den Zutaten, mit denen ich im Mix Wirkung entfalten kann.

State of Play ist im Ansatz ähnlich dem Drumstep-Mix, mit dem ich schon vor 2,5 Jahren die Befruchtung von Drum&Bass durch Dubstep festzuhalten versucht hatte. Der Sound ist seitdem nicht stehengebliebebn, auch wenn man inzwischen unter dem Begriff „Drumstep“ häufig eher summiert, was die oberflächlich markantesten Elemente von Dubstep mit Neo-Jump-Up vereint (z.B. gemeistert in Terravita – Lockdown).

Mit dem ersten Autonomic-Podcast trat im Januar 2009 der Gamechanger auf den Plan: Dubstep-Lessons in Verbindung mit 1980er-Soundästhetiken auf einem Drum&Bass-Fundament. Minimaler Drum&Bass war zwar schon seit Mitte 2007 im Aufwind, Soul:R hatte wieder mal den Trend mitbestimmt, das Autonomic-Umfeld mit Darkestral und Nonplus vollzog den Bruch mit dem dominierenden Paradigma aber wesentlich radikaler:

Durch noch weiter gehende Reduktion Raum zu schaffen und mit Ambient-Elementen zu arbeiten, ist ein deutlicher Gegenentwurf zur Reizüberflutung des die Clubs dominierenden In-Your-Face-Ravesound, dessen Ästhetik letztlich dem Indie/tronic- oder Electro/Frenchhouse-Mainstream mit ihren mittfrequenten Bassemulationen nahesteht.

Wenn Kode9 und andere Musikethnologen von „Treble Culture“ sprechen, der Musikrezeption über Handy, Mp3-Player, Laptop- oder PC-Boxen, dann ist damit ein Grund benannt, warum, die von mir verfolgte Musik Nischenstatus behalten wird: Ohne adäquate Basswiedergabe ist sie schlicht nicht rezipierbar.

Was die in diesem Mix versammelte Musik trotz einiger übereinstimmender formaler Merkmale vom aktuellen Minimal Techno unterscheidet ist, dass sie sich (in meiner begrenzten Wahrnehmung – zu auf den Vierteln durchlaufenden Kickdrums habe ich nie eine wirkliche Freundschaft entwickelt) nicht in Monotonie und Einfachheit erschöpft, sondern über komplexere Rhythmik der Beats und Bässe vielfältigere Angebote an die Hörer macht.

Tracklist:
01 Blu Mar Ten – Believe me (Bop Rmx) [BMT]
02 ASC – Porcelain [Nonplus]
03 Digital – Weatherman [Exit]
04 S.T. Files – Crackden [Soul:R]
05 Instra:mental – No Future [Nonplus]
06 Data – Termite [Horizons]
07 Data feat K2 – Kyushojutsu [Cylon]
08 June Miller – Poison the Well [Cylon]
09 Pearson Sound – Down with you [Darkestral Galaxicos]
10 Dan Habernam – One [Cylon]
11 June Miller – Half Top Feelings [Horizons]
12 Commix – Underwater Scene [Soul:R]
13 ASC (feat. Riya) – The Touch [Auxiliary]
14 Rockwell – Tribes [Critical]
15 Breakage – Lightweight [Bassbin]
16 Genotype – Mystical [Offkey]
17 Electrosoul System – Asteroid [Soundtrax]
18 Rockwell – Full Circle [Shogun Audio]
19 Anile – Orthodox [Cylon]
20 Jonny L – Output 1-2 [Darkestral]
21 Boymerang – Urban Space [Prototype]
22 Mad Wrrrld Rmx [White]
23 Mr. Size F & Unquote – Hours Have No Reverse Motion [Hospital]
24 Digital & Murphy – Shanty [Exit]

6 Kommentare
  1. Rofigu
    Rofigu sagte:

    iLike! vor allem nimmst du mir die arbeit ab, die ich gehabt hätte um mir den mix selbst zu erstellen. war nämlich schon in planung so ne art best of seit neuerlichem beginn der reduzierung in dnb und co.

    muchas gracias!

  2. Nils
    Nils sagte:

    Schöner Mix und schöne Erzählung.
    Ich denke allerdings, dass der minimale Techno in deiner Darstellung etwas zu negativ wegkommt. Was seit einigen Jahren in den Szenen von Bristol oder Berlin, etc. brodelt, kann man m.E. nur schwer unter „Monotonie und Einfachheit “ fassen. Natürlich produzieren viele Produzenten auf Schlüsselreize hin, aber Schematismus gibt es genau so auch im Umfeld von DnB(man denke nur an das von dir auch erwähnte Schema Drop, Aufbau, Drop).
    Grad die Annäherung der erträglichen Teile von Dubstep, Techno und DnB im Umfeld von Labels wie 2562, Ostgut Ton und eben auch Autonomic ist für mich der Sound der Stunde. Platten wie die neulich erschienene Commix-Remix EP, auf denen sich Urgesteine wie Underground Resistance Seite an Seite mit Instra:mental oder A Made Up Sound über das Material hermachen, sind zu Hören wie Manifeste für die Einheit all dieser Teile der elektronischen Tanzmusik, deren höheres Verfallsdatum manchmal eben auch auf Kosten der Hörerzahlen geht.
    Von den theoretischen Einwänden ganz unabhängig ist der Mix sehr gut gelungen, das lässt auf ein schönes Set am Samstag hoffen.

  3. myom
    myom sagte:

    Hi Nils,

    merci für das Feedback! Ich weiß, dass ich da kein vollständiges Bild habe und gebe das ja auch im Artikel offen zu, dass das rein geschmäcklerisch ist. Die „große Aussöhnung“ / das Crossover mit Dubstep verfolge ich auch und finde daran einiges Schönes; auch mit alten Detroit-Geschichten wie UR kann ich was anfangen – nichtsdestotrotz wird es mir mit Techno häufig schnell langweilig. But that´s just me.

    Greetz
    Myom

  4. Stefan
    Stefan sagte:

    Bei der Suche nach alten Perlen auf meiner HD auf den Mix hier gestoßen. Immer noch relevant und absolut nice in 2017. Auch wenn sich mein eigener Sound eher in technoiden Gefilden wieder findet, höre ich doch immer gerne gute Musik jeglicher Art und DAS ist gute Musik. Weiter so und Grüße aus Berlin!

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  1. […] Stripped down dubby Drum & Bass beats by mjusic and tempo90 member Myom. The man delivers quality mixes since years so it was time to share one of ‘em. […]

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